Als die smartphones in mein Leben traten, hatte ich das Gefühl: Jetzt schreibe ich E-Mails wie früher SMS! Zuerst fand ich das toll und war stolz darauf auf E-Mails unmittelbar zu antworten. Es schmeichelte meinem Ego, wenn ich hörte:
„Sie sind aber gut erreichbar!“.
Im Laufe der Zeit führte aber der unreflektierte Gebrauch von E-Mail bei mir dazu, dass ich mich von der immer mehr anwachsenden Flut von Nachrichten beherrschen ließ. Den ganzen Tag – oft noch vor dem Aufstehen – erregten die roten Notifications meine Aufmerksamkeit und riefen mir zu:
„Das ist dringend – tue was – jetzt!“
Kommt Ihnen das bekannt vor? Dann ist es nötig, unser Leben zurück zu gewinnen, falsche Gewohnheiten abzulegen und E-Mails den Platz zuzuweisen, den sie verdienen!
Ein Satz zu Beginn des lesenswerten Buches von Klaus Raab “Wir sind online – wo seid ihr?” lies mich aufhorchen: emails – das Rohrpost-System der modernen Kommunikation, da keine Kommunikation in Echtzeit … da hatte ich E-Mails doch wahrhaftig völlig falsch eingeschätzt – ich war gefangen in falschen Überzeugungen, die auch durch die Erwartungen an meinen Beruf genährt wurden:
Falsche Überzeugungen: Erreichbar – Verfügbar. Oder „Nur mal kurz die Welt retten“
Der Pfarrer ist immer im Dienst – und auch stets erreichbar!
Diesen Satz habe ich in meiner Ausbildung gehört. Das Kirchenrecht meiner Landeskirche formuliert das so:
Pfarrdienstgesetz § 37: Erreichbarkeit
( 1 ) Pfarrerinnen und Pfarrer müssen erreichbar sein und ihren Dienst innerhalb angemessener Zeit im Dienstbereich aufnehmen können.
Eine Vorgabe, die leicht falsch verstanden werden kann:
Erreichbar heißt nicht verfügbar!
– Wenn mir jemand eine email schickt, landet sie in meinem Posteingang: Der Mensch hat mich erreicht.
– Wenn mich jemand anruft und auf meinen Anrufbeantworter spricht, hat er mich erreicht.
– Schickt mir jemand eine Kurznachricht – eine sms, eine whatsapp oder per faceook-messanger – dann erreicht mich diese Nachricht.
Verfügbarkeit ist aber etwas anderes: Verfügbar bin ich, wenn ich den Hörer direkt abnehmen kann, wenn mein Telefon klingelt.
E-Mails hingegen erreichen mich. Sie müssen genauso wenig sofort beantwortet werden, wie die die Briefe, die mich per Post erreichen. Das vermeintliche kurze „checken“ der emails kostet mich aber nur unnötig Zeit und Energie – ich laufe ja auch nicht alle 30 Minuten zum Briefkasten.
The medium is the message
Es ist meine Pflicht als Pfarrer in einem angemessenen Zeitraum auf diese Nachrichten zu reagieren. Der Zeitraum bemisst sich auch anhand des Kommunikationskanals, der verwendet wird:
– Anrufe: Sie sind neben dem persönlichen Gespräch die direkteste Kontaktaufnahme – vermutlich ist die Angelegenheit dringend! Möchte ein Bestatter mich wegen eines Beerdigungstermins erreichen, ruft er mich an.
– Kurznachrichten: Auch Kurznachrichten arbeiten in Echtzeit – enthalten aber meiner Erfahrung nach nur selten wirklich Dringendes.
– E-mails: Da E-Mail-Kommunikation keine Kommunikation in Echtzeit ist, können sie eigentlich nie Dringliches enthalten. Leider werden sie oft für dringende Angelegenheiten verwendet. Kollegen, die eine Vertretung für eine Trauerfeier suchen, fragen leider oft per E-Mail anderer Kollegen an – vermutlich, weil sich mit einer E-Mail gleichzeitig mehrere PfarrerInnen erreicht werden können1.
– Post: In der Post kann sich nie Dringliches verstecken – allein der Postweg von 1-3 Tagen verdeutlicht das.
Differenzierung der Kommunikationskanäle: Einüben von neuen Gewohnheiten
Um mein Leben wieder in die Hand zu bekommen, um mir nicht von der Informationsflut diktieren zu lassen, was jetzt angeblich dringend sein soll, muss ich neue Gewohnheiten entwickeln. Dazu muss ich zunächst für mich klären, welchen Stellenwert welche Art der Kommunikation bekommen soll:
– Telefonanrufe haben für mich hohe Priorität. Entweder gehe ich direkt dran – oder sobald ich freie Zeit habe, z.B. direkt nach einem Gespräch, frage ich meinen AB ab und rufe zurück.
– Emails: Sie können nicht dringend sein. Das vielfache „checken“ von emails auf dem smartphone füllt meinen Kopf nur mit unnötigen Informationen, auf die ich jetzt sowieso nicht angemessen reagieren kann. Deshalb reserviere ich mir 2-3 Zeiträume am Tag, in denen ich bewusst E-Mails abarbeite – nicht checke: Am späteren Vormittag (nachdem ich mich mit dem Beschäftigt habe, das für mich an diesen Tag am wichtigsten ist), am Nachmittag (Vorsorge, damit mir falsch verwendete „dringliche“ E-Mails nicht entgehen) und abends vor dem Feierabend (um sicher zu gehen, dass ich beruhigt schlafen kann).
So bestimme ich die Zeit, die ich E-Mails einräume – und werde nicht von den E-Mails bestimmt!
E-Mails abarbeiten: Umschalten in den E-Mail-Modus
email – fertig – los: INBOX ZERO
Im Film „Over the Top“ bringt sich der Trucker Lincoln Hawk vor seinen Armdrückwettkämpfen in den richtigen mentalen Modus dafür, indem er seine Schirmmütze nach hinten dreht: Das ist für ihn das Ritual, mit dem er sich in eine Kampfmaschine verwandelt. Genau so konzentriert wird das Abarbeiten von E-Mail zum Erfolg:
Es ist Abend. Das Tagwerk ist getan – JETZT ist es Zeit die e-Post zu beantworten!
In der nächsten Stunde werde ich nichts anderes tun als emails bearbeiten. Mein Ziel: Den Posteingang auf NULL bringen!
Ich orientiere mich beim Abarbeiten von E-Mails an dem System, mit dem ich auch sonst arbeite – der „Getting-Things-Done-Methode“ (GTD) von David Allen.
Das Abarbeiten von E-Mails folgt den selben Regeln wie das „processing“ jeder anderen Inbox auch:
1. Regel: Der Reihe nach – Touch it once
Ich überfliege nicht die einzelnen emails, gehe nicht nach Belieben vor, sondern von oben nach unten – jede mail einzeln und für sich. Ich lese nicht quer, sondern beschäftige mich mit jeder E-Mail nur ein einziges Mal und entscheide, was mit ihr zu geschehen hat.
2. Regel: Was ist es-Entscheidung – maximal 2 Minuten pro mail
Stellen Sie sich bei jeder E-Mail die Grundfrage: Erfordert diese E-Mail eine Handlung von mir? Die folgenden Reaktionen auf eine E-Mail erfordern weniger als 2-Minuten – sie können sofort getan werden:
1.Nein
– Ist sie Spam oder sonstiger E-Mail-Müll? ? Dann ab in den Spam-/Trash-Ordner damit!
– Ist es eine Info-Mail, ein newsfeed oder dergleichen? Die sollten normalerweise durch entsprechende Filter gar nicht erst hier landen! Lesen kann ich diese Informationen später, da brennt nichts an. Arbeite ich mit einem email-Ordner-System, verschiebe ich die mail in den Ordner “Lesestoff”. Ich bevorzuge EVERNOTE, dorthin leite ich mails dieser Art weiter und beschäftige mich mit dieser Art von Informationen, wenn Zeit dafür ist – im Wartezimmer beim Arzt, auf einer Zugfahrt, … someday/maybe.
2.Ja
– Kann ich eine email sofort, d.h. innerhalb von zwei Minuten beantworten, dann tue ich das jetzt. Dazu fasse ich mich kurz – ich schreibe keine Romane.
– Oder ich leite weiter/ delegiere: Eine Taufanfrage – und die mütterliche Autorin der mail wohnt gar nicht in meinem Seelsorgebezirk? Weiterleitung an den zuständigen Kollegen – das ist nicht mein Projekt!
– Die mail betrifft eines meiner Projekte, ich kann aber nichts tun:
Weiterleitung bzw. neue mail an die zuständige Person – mit “bcc”-Kopie an meine GTD-App. Dort wird meine Anfrage unter dem entsprechenden Projekt mit dem Kontext “warten auf” + “Name des Zuständigen” hinterlegt, damit ich den Überblick behalte. Spätestens bei der wöchentlichen Durchsicht wird mir diese Anfrage wieder vorliegen und ich kann bei Bedarf nachhaken.
3. Wenn es länger dauert … ab ins „trusted system“!
Betrifft eine E-Mail eines meiner eigenen Projekte, kann sie zum Typ „Referenzmaterial“ gehören – und wird von mir in Evernote abgelegt, so dass ich die Informationen leicht wieder finde.
Erfordert die E-Mail von mir eine oder mehrere Handlungen, pflege ich sie als Aufgabe eines bereits bestehenden Projekts ein oder das Thema der E-Mail wird selbst zu einem eigenen Projekt:
Die email betrifft mich direkt und gehört inhaltlich zu einem bestehenden Projekt:
Ich leite sie in mein GTD-System um, betitel sie mit der Aufgabe, die sich für mich aus ihr ergibt, füge Kontext und evtl. das Datum an, an dem die Sache spätestens erledigt werden muss. Ich verwende einen E-Mail-Client, der einen link für die jeweilige E-Mail generiert und diesen gemeinsam mit dem E-Mail-Text in meinem GTD-Programm ablegt: So kann ich zur Beantwortung der E-Mail zwischen Nozbe und E-Mail-Client bequem zurückspringen, die richtige E-Mail finden und diese beantworten. Nachdem ich die Aufgabe erstellt habe, verschiebe ich diese E-Mail in den Archiv-Ordner. In meiner wöchentlichen Systemdurchsicht werde ich spätestens wieder auf diese Aufgabe stoßen und justiere evtl. meine Einschätzung noch einmal nach.
Die email betrifft mich direkt, ich habe aber noch kein bestehendes Projekt:
Ich leite sie in meine GTD-App um und eröffne mit ihr ein neues Projekt. Alternative: Ich leite die E-Mail nach Evernote um und verwende sie als Referenzmaterial, aus dem ich dann das Projekt sowie die dazugehörigen Aufgaben generiere.
Meine GTD-App Nozbe hat – ebenso wie Evernote – eine E-Mail-Adresse, die ich dazu verwenden kann.
Neue Gewohnheiten entwickeln
- Treffen Sie mit sich selbst die Verabredung, zu welchen Uhrzeiten Sie E-Mails abarbeiten möchten. Zwei bis drei Zeiträume sollten völlig ausreichen. Halten Sie diese Verabredung ein! Dazu hilft:
- Löschen Sie die E-Mail-App vom smartphone! Oder weniger radikal: Verschieben Sie die E-Mail-App vom Startbildschirm aus der unmittelbaren Sichtweite – und schalten sie die Benachrichtigungen sowie den Nachrichten-Push aus. Dadurch fällt es Ihnen vielleicht leichter – mir ging es zumindest so.
- Checken Sie keine E-Mails – arbeiten Sie sie vielmehr konzentriert ab wie oben beschrieben. Processing: Touch it once!
- Die größte Belohnung: Mehr Zeit für die wichtigen Dinge! Wenn Sie merken, dass Ihr neues Vorgehen Sie spürbar entlastet, Ihnen hilft mehr Zeit für das zu haben, was Ihnen wichtig ist – und gleichzeitig kein Feedback kommt, Sie seien einer dieser unzuverlässigen Pfarrer, denen immer etwas „wegrutscht“ – dann ist das die Motivation, Ihre neue E-Mail-Gewohnheiten weiter zu pflegen.
Hier finden Sie eine Zusammenfassung als Nozbe-How-Vorlage.