Eine App, die vergisst …

Wir sind endlich – und unsere tools sollten sich daran anpassen!

„Ein gutes Gedächtnis erkennt man unter anderem daran, dass es vergisst!“,

sagte mein Mathematiklehrer des öfteren zu uns – ein entlastender Satz für Schüler:innen, die sich auf das Abitur vorbereiten. Computer hingegen sind so konstruiert, dass sie nichts vergessen. Allein dieser Punkt zeigt das ganze Dilemma, in dem wir heute stehen:

Seitdem wir alle einen Hochleistungscomputer in der Hosentasche mit uns herum tragen, haben wir den Anspruch an uns selbst – manchmal wird er auch an uns gestellt – nichts mehr vergessen zu dürfen.

Wir bedienen Apps, in die wir alles speichern können – und in denen das Gespeicherte bleibt und immer mehr wird.

Smartphone mit Gedächtnisproblemen

Das Smartphone beherbergt viele solcher Apps, in denen die Abgründe der vielen Informationen lauern, denen wir schon längst nicht mehr Herr werden. Gleichzeitig sind viele weitere Apps installiert, die meine Aufmerksamkeit und Lebenszeit nutzen möchten, da die Plattformbetreiber mit meinen Daten ihr Geld verdienen, und für deren Geschäftsmodell es unabdingbar ist mich abhängig zu machen – FOMO, fear of missing out!

Smartphones und ihre Unendlichkeit-Lebenswelten

  • Cloud-Speicher ist unendlich und ewig.
  • Unsere Geräte können unendlich vieles.
  • Sog. Produktivität-Apps können beliebig viele Listen abbilden, Aufgaben speichern, Projekte verwalten usw.

Meine These ist, dass ein Smartphone den Anspruch hat, alles zu können – es aber für vieles nicht taugt. Vor allem dafür nicht, unser Leben zu organisieren. Als Pfarrer weiß ich: Wir Endlichkeitswesen müssen vergehen, wenn wir uns der Unendlichkeit stellen. Das mag im mystischen Sinne in Ordnung sein, wenn wir uns im mystischen Nu verlieren, um uns selbst erst richtig zu finden. Oder uns im Anblick von Schönheit selbst vergessen, um als Beschenkte wieder aufzutauchen.

Das Smartphone aber stellt diesbezüglich eine eher schädliche Gegengottheit dar, die uns nicht staunen lässt und Mut schenkt, sondern uns dauerhaft verängstigt und klein macht.

Die sogenannte industrielle Revolution im 19. Jahrhundert führte bereits dazu, dass der Mensch sich den Maschinen anpasste; z.B. gab der Rhythmus des Fließbandes den Takt vor.

Aber wir sind Menschen – und endlich

  • Wir haben eine endliche Zeitspanne auf Erden.
  • Wir besitzen ein endliches Maß an Energie.
  • Unser Gedächtnis ist endlich.

Als Endlichkeitswesen tut es mir nicht gut, mich an der IT-Unendlichkeit zu orientieren, da ich mich dann selbst verliere in dem Gerät in meiner Hosentasche, meinem Smartphone, das mich längst selbst in die Tasche steckt.

Smartphone als Krake

Die Bullet-Journal-Companion-App als Alternative

Die vom Erfinder des Bullet Journal entworfene Companion-App lässt es zu in der „Log“-Sektion Aufgaben, Termine und Notizen zu speichern – wie im papiernen Daily-Log. Aber – nach 72h werden die Einträge automatisch gelöscht! Denn wenn sie nicht innerhalb von drei Tagen per Migration ins Bullet Journal überführt wurden – sind sie nicht wichtig genug. Phantastisch!!!

Das Papierbuch, das uns Menschen bleiben lässt, bleibt der Schrittmacher, und die App ist nur Knecht und vergesslich. Wie genial und gnädig.

These:

Smartphones als Unendlichkeits-Tools verführen uns zu einer Art und Weise des Arbeitens und Lebens, die uns als endliche Menschen nicht gut tut.

Wir Menschen brauchen Grenzen.

Die Bullet-Journal-Companion-App ist ein mustergültiges Beispiel für eine App, die uns Menschen bleiben lässt, indem sie unsere Begrenztheit akzeptiert.


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