Lernen – durch Output!

Werbung für die ausführliche Weekly Reflection aus systemischer Perspektive

Die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.1

So schrieb der berühmte Philosoph G.F.W. Hegel im 19. Jahrhundert: Erst, wenn eine Geschichte zu Ende erzählt ist, können wir etwas daraus lernen.

Denke ich zurück, erkenne ich die Wahrheit dieses Satzes: Bei der Vorbereitung auf mein erstes theologisches Examen fügten sich viele Einzelteile zusammen, die ich in den Jahren davor an Information und Verständnis gesammelt hatte.

Und auch ein Text wie der Vorliegende bildet eine neue Ebene des Verstehens der darin verarbeiteten Informationen.

Für alle Endprodukte wie Bücher, Aufsätze oder Blogposts gilt dies: Erst im Erstellen dieser Texte wird aus vorher gesammelten Informationen Wissen.

Meine Behauptung: Genau das passiert auch im Bullet Journal durch die Langform der Weekly Reflection, einem der neuen Bausteine des BuJo-Systems: Die einzelnen Beobachtungen der Daily Logs, die per rapid logging während der Woche gesammelt wurden, bekommen hier durch die Brillen der Jahres-, Monats- und Wochenintentionen eine Form. Und erst durch diesen kreativen Akt des Schreibens entsteht Wissen darüber, was in meinem Leben gerade passiert. Deshalb ist die Reflection in ihrer Langform so wichtig.

Im Folgenden beschreibe ich die einzelnen Prozesse der Wissensgenerierung im Bullet Journal aus systemischer Perspektive, um deutlich zu machen, dass erst durch die wöchentliche Reflexion neues Wissen entsteht, das mir hilft, mich und mein Leben besser zu verstehen. Dazu verwende ich den systemischen Dreischritt:

Complexity to Simplicity to Complexity2

Complexity to Simplicity: Von der amorphen Komplexität des Alltags zu vereinfachenden Beobachtungen 1. Ordnung

Systeme beobachten – und wählen aus:

Der Buchdruck erfand den Leser, indem dieser dem Buchautor durch seine Rezeption zur Autorität erhob3: Wer liest, der wählt aus, was er liest – und was nicht.

Was ich in meine Daily-Logs schreibe, ist eine Auswahl des Möglichen.

Ich entscheide, welche Informationen ich in meinem Bullet Journal oder meinem Personal—Knowledge-Management (PKM) -System oder Zettelkasten sammle und welche nicht!

Damit wir nicht in die Gefahr geraten, alles Mögliche zu sammeln, ist das handschriftliche Erfassen eine gute Hilfe: Denn die Langsamkeit der Handschrift und der begrenzte Platz des BuJos oder der DIN-A6-Karte zwingt mich auszuwählen.

Ebenfalls hilfreich ist, wenn ich weiß, was mir wichtig ist:

Capture – Keep What Resonates4

Tiago Forte vergleicht Informationen mit Nahrung fürs Gehirn: Ich esse, was mir schmeckt. Deshalb sind PKM-Systeme eben „persönlich“: Ihr Inhalt bezieht sich auf mich, meine Lebensthemen und Leitfragen5:

Daraus ergibt sich auch automatisch, welche Informationen ich nicht sammle!

Daily Log: Meine Auswahl von relevanten Informationen im Verlauf der Woche

Wie die Zettel in einem Zettelkasten sammle ich im Daily Log jeden Tag für mich relevante Informationen auf der Grundlage meiner Wochen-, Monats- und Jahresplanung – meiner Intentionen.

Je mehr mir meine Lebensthemen und Intentionen bewusst sind, desto besser gelingt mir die Unterscheidung zwischen relevanten und nicht relevanten Informationen. Das merke ich aber erst im Laufe der Zeit und auch nicht während des Sammelns, denn im Laufe der Woche verarbeite ich diese Informationen kaum: Die tägliche Morgenreflexion dient mir dazu, die im Laufe der Woche sich ergebene neue Aufgaben im Blick zu behalten. Aber in erster Linie will ich unter der Woche meine intentionale Wochenplanung umsetzen und so oft wie möglich Wichtiges erledigen. Im normalen Alltag wäre es auch überfordern, jeden Tag die eigene Geschichte zu aktualisieren. Dies geschieht in der ausführlichen Form der wöchentlichen Reflexion:

Simplicity to Complexity: wie das Beobachten 2. Ordnung zu Intention und Sinn führt.

Durch den Akt des Schreibens werden aus den Beobachtungen 1. Ordnung, die hier und da aufgeschnappt und gesammelt werden, komplexere Texte, die die darin verknüpften Informationen auf ein neues Niveau heben – Ergebnisse des Beobachtens 2. Ordnung, der Reflexion:

Am Ende der Woche lese ich meine Dailys und schreibe auf dieser Grundlage einen Text über den Verlauf meiner Lebensthemen und Ziele in der letzten Woche: Erst durch die Vernetzung der einzelnen Einträge entsteht Wissen, woraus sich die Planung der nächsten Woche ergibt und im Laufe der Wochen eine Geschichte meines intentionalen Lebens über das Jahr hinweg.

„Schreiben ist wie Denken mit der Hand“, schreibt ein bekannter Notizbuchhersteller mit Recht: Erst durch das Produkt entsteht Wissen, deshalb ist diese ausführliche Wochenreflexion so wichtig. Und deshalb empfehlen sowohl Tiago Forte als auch Scott Schepper, dass der Aufbau eines „Second Brain“ bzw. eines PKM bzw. eines „Zettelkasten“ intentional geführt werden muss – ein Ziel ist nötig, woraufhin man Informationen sammelt. Die Intention hilft bei der Selektion der Informationen (=Vereinfachung). Der Output baut aus diesen einfachen Bausteinen wieder Komplexität auf und verhilft dem Autor durch den beim Schreiben geschehenden neuen Aufbau von Komplexität zu Erkenntnisgewinn:

Ohne Ernte weiß man nicht, was man gesät hat!

Lernen bedeutet mit einer intentionalen Review Neues zu erschaffen. Deshalb sind Reflexionsphasen so wichtig: Nur so entsteht neues Wissen – und vielleicht sogar irgendwann einmal Weisheit …

Lernen durch Output: Heimkehren

Dadurch ist hoffentlich klar geworden, welche wichtige Funktion die ausführliche Fließtextform der Weekly Reflection hat: Die meisten von uns keine Buchautoren und verfassen nicht regelmäßig Texte. Und auch wenn ich einen Blog betreibe, komme ich doch nicht wöchentlich zu einem neuen Post. Aber in meinem Bullet Journal am Ende der Woche mein Leben retrospektiv zu verstehen, um damit eine Planungsplattform für die Planung der Folgewoche zu bekommen, diese Chance bietet das Bullet Journaling jeder und jedem. Am Ende der Woche und des Jahres halten wir dann nicht ein Buch voller Informationen, sondern ein Buch voller Erinnerungen und Wissen in den Händen – wie ein Fotoalbum, in das wir nach einer Reise unsere einzelnen Eindrücke ordnen, mit Überschriften und Anmerkungen versehen:

Man muss irgendeinen Ort aufsuchen, an dem man sich erinnern kann, verstehst du? Es kommt darauf an, die Reise irgendwann zu beenden. Eigentlich ist man nirgends gewesen, bis man heimkehrt.6

  1. G.F.W.Hegel(1821), W7, 28.
  2. Scheper, Scott P. (2022): Ancient Zettelkasten: A Knowledge System That Will Turn You Into a Prolific Reader, Researcher and Writer, S. 374.
  3. Vgl. Berghaus, M. (2022): Luhmann leicht gemacht, S.169-173).
  4. Forte, T. (2022): Building a Second Brain. A Proven Method to Organise Your Digital Life and Unlock Your Creative Potential, S. 53-79.
  5. 1. Was inspiriert mich?
    2. Ist es nützlich?
    3. Ist es persönlich?
    4. Ist es überraschend?
    Externalisieren wir unsere Gedanken, kann sich mein Future-Me von ihnen überraschen lassen – genau so beschreibt Niklas Luhmann die „Kommunikation mit Zettelkästen“ (Luhmann, N.: Kommunikation mit Zettelkästen, 1981).
  6. Pratchett, Terry (1989), Das Licht der Phantasie.

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