Verschwörungsideologie – Fundamentalismus – Monotheismus

Versuch einer Differenzierung

Ein unsichtbares göttliches Wesen, das die Welt im Geheimen lenkt – sind Religionen nicht Verschwörungsmythologie-Varianten? Als „Verschwörungstheoretikerin“ wird folgerichtig die Religionslehrerin vom Schüler-Protagonisten im Film „Wochenendrebellen“ beschimpft, weil diese immer angebliche Sachverhalte schildere, die ganz klar den Naturwissenschaften widersprächen.

Ist das wirklich so? Schauen wir genauer hin, denn nicht überall, wo Religion draufsteht, ist auch Religion drin1. Als Analyse-Tool verwende ich im Folgenden die Definition für Verschwörungstheorien von Cubitt2, die aus drei Merkmalen besteht: Intentionalismus, Dualismus und Okkultismus.

  • Heimlichkeit (Okkultismus) ist das Merkmal der Cubitt’schen Trias, das m.E. allein der Verschwörungsideologie zukommt. Ohne Heimlichkeit keine Verschwörung: Das ist ihre Kernsymptomatik sozusagen.
  • Der verschwörungsideologische Intentionalismus hingegen findet seine Entsprechung im Grundgedanken des Theismus3: Es gibt eine Instanz, die alles steuert und lenkt. Theismus allein muss nicht zum Fundamentalismus degenerieren – durch Metamorphose zum Monotheismus, indem monistische Ideen assimiliert werden, kann eine echte Religion entstehen, die genug Ambiguitätstoleranz4 aufzubringen vermag, um Demokratie auszuhalten oder sogar demokratieförderlich zu sein5. Denn der Monotheismus kennt keine alternative Gegenmacht zu dem einen Gott – alle Menschen sind Geschöpfe des einen Schöpfers, von dem die einen explizit wissen, und die anderen eben (noch) nicht oder in abgestufter Klarheit zu Erkenntnis fähig sind. Alle Menschen sind seine Geschöpfe, da ist für Dualismus kein Platz, da dieser prinzipiell dem einzigen Gott und Schöpfer die Herrschaft streitig machen würde. Also werden differenzierte Strategien entwickelt mit der Tatsache umzugehen, dass es Menschen gibt, die nicht oder anders glauben – diese zu verteufeln ist aber kein gangbarer Weg. Im Christentum z.B. führt die für Jesus typische Feindeliebe und seine Kritik am dualistischen rein-unrein-Denken zu einer ehrfürchtigen Haltung auch Andersdenkender gegenüber6: Gott seine Sonne über alle scheinen lässt7.
  • Dem gegenüber steht ein Theismus, der sich mit dem Dualismus vermählt hat: Erst das dualistische Mindset sorgt für den Sprengstoff im wahrsten Sinne des Wortes8. Der dualistische Theismus ist die Kombination, aus der Fundamentalismus entsteht: Irgendwie muss der Fundamentalist mit den „anderen“ umgehen, denn sich selbst erlebt er als Opfer der anderen, die Furchtbares von ihm verlangen allein dadurch, dass es sie gibt. Die „anderen“ werden zu Feinden dämonisiert, deren Gegenentwürfe als Angriffe auf die eigene Identität erlebt werden. Darauf gibt es zwei mögliche Reaktionen: Entweder schotten sich Fundamentalisten ab und bewältigen das anders-sein der anderen, indem sie eine Parallelgesellschaft bilden, oder sie versuchen gewaltsam oder durch politische Einflussnahme die „anderen“ zu überwältigen – die Skala dieser Agitationen reicht von reinen Phantasien die angeblich religionsfeindliche Demokratie abzuschaffen bis hin zu gewaltsamen Versuchen einen Gottesstaat zu errichten, um die beiden Enden der Skala zu nennen9. Ziel ist es immer die dämonisierten und damit entmenschlichten „anderen“ auszuschalten10. Als „Opfer“ darf man das ja – die eigene Aggressionen werden als sich Wehren legitimiert – und die „anderen“ eliminiert.

Fazit:

  • Fundamentalisten haben ein sehr ähnliches Mindset wie Verschwörungsgläubige – und das ist kein Zufall. Deshalb dürfen beide nicht mit „echter“ Religion, die wie die monotheistischen Ansätze auf Ambiguitätstoleranz basieren, verwechselt werden, denn Fundamentalisten wie Verschwörungsgläubige können gefährlich sein.
  • Religionen hingegen, die die Gläubigen trainieren Spannungen auszuhalten, dürfen den schwarz-weiß-denkenden Ideologien nicht das Feld überlassen, sondern sollten zur wehrhaften Demokratie im Sinne des Popper’schen Toleranzparadoxons ihren Beitrag leisten.

  1. Ich danke allen Kursen des Eduard-Spranger-Berufskollegs in Hamm, die mit mir in den letzten Jahren zu diesem Thema nachgedacht, diskutiert und mich dadurch zur nötigen Klarheit gebracht haben! ↩︎
  2. Vgl. Butter, M., Nichts ist, wie es scheint, 2021; auch ein herzliches Dankeschön an Prof.Dr. M.Butter an dieser Stelle, der sich 2020 auf einen E-Mail-Diskurs mit mir eingelassen hat. ↩︎
  3. Vgl. von Sass, H., Atheistisch glauben: ein theologischer Essay, 2022 ↩︎
  4. Vgl. Bauer, T., Die Vereindeutigung der Welt: über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt, 2018 ↩︎
  5. Vgl. Rosa, H., Demokratie braucht Religion: über ein eigentümliches Resonanzverhältnis: basierend auf einem Vortrag beim Würzburger Diözesanempfang 2022 ↩︎
  6. Vgl. Mt 7,1-5. ↩︎
  7. Vgl. Mt 5,43ff., 15,10ff. ↩︎
  8. Vgl. hierzu Blume, M.(2021), Rückzug oder Kreuzzug? Die Krise des Christentums und die Gefahr des Fundamentalismus ↩︎
  9. Vgl. Welche Verbindungen gibt es zwischen russischer Orthodoxie und der europäischen christlichen Rechten, Frau Stoeckl?, in: Diesseits von Eden. Gespräche über Gott und die Welt, Podcast (11.April 2024) ↩︎
  10. Vgl. Reel von Sascha Lobo, 26.August 2000 ↩︎

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Kommentare

Eine Antwort zu „Verschwörungsideologie – Fundamentalismus – Monotheismus“

  1. Avatar von Robert Stephen Brewer

    Hallo Michael,
    Ich habe mit Interesse dein Versuch einer Differenzierung zwischen Verschwörungsideologie, Fundamentalismus, und Monotheismus gelesen.
    Das erste Beispiel, das Du aus dem Film „Wochenendrebellen“ bringst, dass die Religionslehrerin Sachverhalte, die ganz klar den Naturwissenschaften widersprechen, und deswegen, als „Verschwörungstheoretikerin“ beschimpft wird, ist nachvollziehbar. Vor allem wenn eine Tendenz vorliegt, die Sachverhalte auf eine Stufe mit erwiesenen Fakten bringt, entsteht ein Problem.
    Ich selbst habe dieses Dilemma vor einigen Jahren erlebt, als ich mehr und mehr über archäologische Funde las, die ein klares Bild davon vermitteln, was im Nahen Osten zur Zeit des Alten Testaments geschah. Von einem Königreich, wie es David oder Salomo zugeschrieben wird, war nichts zu sehen. Viele Namen tauchen auf, aber in anderen Zusammenhängen, und schließlich ist man zu dem Schluss gekommen, dass während und nach der babylonischen Gefangenschaft die vermeintliche historische Darstellung bestenfalls aus der Legende oder sogar aus anderen Überlieferungen „geborgt“ wurde, um eine Volkserzählung zu produzieren, die das Volk, das unter dem Einfluss mächtiger Reiche immer wieder besiegt und hin- und hergeworfen wurde, einen und ein nationales Bewusstsein schaffen sollte.
    Die zweite betrifft die neutestamentlichen Schriften, die für den Kenner der griechischen Literatur zeigen, dass die Autoren bei der Darstellung Jesu auch Anleihen gemacht haben. Vor allem um ihn als Gegenfigur zu den in der damaligen Gesellschaft gängigen „Helden und Göttern“ darzustellen, haben sie sich einiges erlaubt. Die Rolle der Religion im römischen Reich diente vor allem dem Zusammenhalt der Gesellschaft, und es herrschte eine fast abergläubische Angst, dass bei einem Abweichen von der Tradition die Zivilisation zusammenbrechen würde. Deshalb wurde der „Atheismus“, wie er damals verstanden wurde, mit dem Tod bestraft – was auch einige Christen erlitten haben sollen. Die Evangelien erweisen sich jedoch als eine literarische Verarbeitung der Ereignisse um Jesus, einschließlich der Wunder und Zeichen, und nicht als eine historische Darstellung.
    Kurzum, die Darstellung oder Suggestion der biblischen Geschichten als Geschichte ist irreführend und wird heftig bestritten. Auch die Darstellung der Entstehung der Kirche, die aus den oben genannten Gründen eigentlich subversiven Charakter hatte und schließlich erfolgreich den damals vorherrschenden Glauben verdrängte und die Kultstätten zerstörte, ist romantisierend. Es handelte sich eindeutig um einen Kampf der Traditionen, der schließlich durch das Eingreifen des römischen Kaisers besiegelt wurde. Es ist nicht zu bezweifeln, dass dies langfristig einen positiven Effekt hatte, denn die römische/griechische Gesellschaft war weitaus grausamer, als man sich das vorstellt, aber im Laufe der Kirchengeschichte hat auch die Kirche einige Gräueltaten begangen.
    Was mir bleibt, ist die mystische Tradition, die meine Sensibilität anspricht und die letztlich aus der Kontemplation hervorgeht, der konzentrierten, betrachtenden Betrachtung und geistigen Versenkung in literarische Quellen, die das Heilige ansprechen. In diesem Zusammenhang sehe ich auch die Bibel. Also, keine Verschwörungstheorie, kein Fundamentalismus, sondern Monotheismus ist letztlich der Glaube an ein zugrundeliegendes Heiliges, eine unbeschreibliche und unaussprechliche Ganzheit, aus der alles kommt und zu der alles zurückkehrt.
    Liebe Grüße